Autismus-Spektrum-Störung

Inhaltsverzeichnis Autismus-Spektrum-Störung

  1. Häufige Merkmale im Erwachsenenalter
  2. „Menschen nicht lesen können“ – Theory of Mind
  3. Frauen mit einer Autismus -Spektrum-Störung
    • Unterschiede zwischen Frauen und Männern
    • Diagnostik bei Frauen mit ASS ist häufig erschwert
    • Warum ist eine Diagnose wichtig – was verändert sie?
  4. Diagnose-Kriterien des Asperger-Syndroms
  5. Bücher, Podcasts und Filme für Frauen

 

Häufige Merkmale im Erwachsenenalter

Autismus -Spektrum-Störung (kurz: ASS) im Erwachsenenalter wird seit einigen Jahren immer bekannter. ASS ist eine neurologische Besonderheit. Das bedeutet, dass das Gehirn anders arbeitet als bei anderen Menschen und somit das Denken, Fühlen und Handeln beeinflusst. Jeder Mensch mit ASS ist sehr individuell. Die Symptome können sehr unterschiedlich sein, deshalb spricht man von einem „Spektrum“.

Die Hauptschwierigkeiten in der Kommunikation betreffen das Wahrnehmen, das intuitive Interpretieren sozialer Signale (Sprache, Mimik, Gestik) und das intuitive Reagieren auf diese. Also, die Frage, ob ich intuitiv andere Menschen und Situationen lesen kann.
Manche Betroffene haben Probleme, zwischen den Zeilen zu lesen oder Small Talk zu führen. Ironie und Witze können schwer verständlich sein.
Soziale Herausforderungen: Der Umgang mit anderen Menschen kann anstrengend sein. Betroffene ziehen sich oft zurück oder fühlen sich in Gruppen unwohl.
Routinen und feste Abläufe: Veränderungen im Alltag können Stress verursachen. Viele Autistinnen und Autisten haben feste Rituale und mögen keine Überraschungen.
Besondere Interessen: Viele haben intensive Hobbys oder Spezialgebiete, mit denen sie sich stundenlang beschäftigen können.
Empfindlichkeit gegenüber Reizen: Geräusche, Licht oder Berührungen können als unangenehm oder sogar schmerzhaft empfunden werden.

 

Theory of Mind

Was ist das Besondere bei Menschen, die unter ASS leiden?
 
Bei Menschen mit ASS fällt insbesondere auf, dass sie „Menschen nicht lesen können“. Gemeint ist die Fähigkeit, Bewusstseinsvorgänge wie Gefühle, Bedürfnisse, Ideen, Absichten, Erwartungen und Meinungen anderer Personen zu antizipieren bzw. das eigene und das Verhalten anderer durch Zuschreibung mentaler Zustände zu interpretieren.
Neurotypische Menschen – also Menschen ohne ASS - besitzen bekanntlich ein besonderes Einfühlungsvermögen, denn um andere Menschen zu verstehen, müssen sie fremde Gedanken, Wünsche und Gefühle genauso entziffern wie versteckte Absichten oder unterschwellige Meinungen. (Theory of Mind, Stangl, 2021).
Wenn jemand nicht die Fähigkeit besitzt, sich in andere Personen so hineinzuversetzen, wirken Verhaltensweisen anderer unvorhersehbar, sinnentleert und sind schwer nachvollziehbar. Der Mangel an Einfühlungsvermögen ist, laut der „Theory of Mind“ in hohem Maße für die Schwierigkeiten verantwortlich, die Menschen mit einer Autismus-Spektrum-Störung (ASS) in sozialen Interaktionen haben.
 
Dieses Unvermögen äußert sich u.a. wie folgt:

  • Mangelnde Fähigkeit, das Verhalten anderer vorherzusehen.
  • Mangelnde Fähigkeit, die Absichten und eigentlichen Beweggründe für das Verhalten anderer intuitiv zu verstehen.
  • Schwierigkeit, die Gefühle anderer intuitiv nachzuvollziehen, gepaart mit einem Mangel an mitfühlenden Reaktionen (jedoch nur sofern die Ursache nicht verstehbar ist). Nachfragen hilft dabei, sich zu vergewissern, wie es der anderen Person wirklich geht. Nach dem Verstehen ist ein Mitgefühl sehr gut möglich.
  • Mangelnde Fähigkeit zu verstehen, wie Verhaltensweisen oder Kommentare auf andere Personen wirken und ihr Denken über die eigene Person beeinflussen.
  • Mangelnde Fähigkeit, das Interesse des Gesprächspartners in Bezug auf das Gesprächsthema richtig einzuschätzen.
  • Mangelnde Fähigkeit, Täuschungen zu verstehen.
  • Mangelnde Fähigkeit, in einem Zimmer mit vielen Menschen zu sein.

 

Frauen mit einer Autismus-Spektrum-Störung

ASS wird bei Frauen seltener erkannt als bei Männern. Lange Zeit dachten Fachleute, dass mehr Männer als Frauen ASS haben. Heute weiß man, dass viele Frauen mit ASS unerkannt bleiben, weil ihre Anzeichen anders sind als bei Männern.
Frauen mit ASS können oft soziale Situationen besser nachahmen. Sie beobachten andere Menschen genau und lernen, wie sie sich verhalten sollen. Das nennt man „Maskieren“ oder „Kompensation“. Dadurch fallen sie weniger auf, aber es kostet sie viel Energie. Viele fühlen sich oft erschöpft oder unverstanden.
Frauen mit ASS haben manchmal andere Interessen als Männer mit ASS. Während viele autistische Jungen sich für Zahlen, Technik oder Listen interessieren, haben autistische Mädchen oft intensive Interessen an Tieren, Büchern oder bestimmten Geschichten. Diese Interessen wirken für andere „normaler“, deshalb wird ASS bei Frauen oft nicht erkannt. Viele Frauen mit ASS sind ausgesprochen kreativ und haben viele künstlerische und handwerkliche Hobbies.
 
Besondere Herausforderungen bei der Diagnose
Die Diagnostik der Autismus-Spektrum-Störung bei Frauen ist oft schwieriger als bei Männer. Das hat mehrere Gründe:
1. Andere Anzeichen: Viele Frauen zeigen ihre Schwierigkeiten nicht offen, weil sie gelernt haben, sich anzupassen. (Masking) Schon als Kind lernen sie am Modell. Sie beobachten das Verhalten anderer Kinder und speichern dieses ab. Am Ende haben Frauen eine Art Bibliothek von Situationen, Situationsanalysen und Verhaltensweisen angelegt, welche sie nutzen können. Dadurch fallen diese Frauen kaum auf und die Diagnose bleibt oft unerkannt.
2. Falsche Diagnosen: Frauen mit ASS bekommen oft zuerst andere Diagnosen, wie zum Beispiel Depressionen, Angststörungen oder Borderline. Es bleibt bei diesen Menschen häufig das Gefühl, dass irgendetwas nicht stimmt und somit sind sie manchmal jahrzehntelang auf der Suche nach der Ursache für ihr Anderssein, sammeln währenddessen immer mehr Diagnosen ein. 
3. Späte Diagnose: Viele Frauen erfahren erst im Erwachsenenalter, dass sie ASS haben. Sie haben oft lange nach einer Erklärung für ihre Schwierigkeiten gesucht und z.T. viele Therapieversuche gehabt.
 
Warum ist eine Diagnose wichtig?
Grundsätzlich tut es gut, zu erfahren, worunter man das gesamte Leben gelitten hat. Frauen, die bereits viele Diagnosen erhalten haben kennen das Gefühl, dass diese Diagnosen nur einen Teil einer Wahrheit darstellten. Oftmals ist die Diagnose ASS der „missing-link“.
Die Diagnose wird dann zu einem neuen Rahmen, in dem die einzelnen Puzzleteile ganz neu und anders ihren Platz finden und ein neues Selbst-Bild entstehen darf.
Eine Diagnose kann Frauen mit ASS somit helfen, sich selbst besser zu verstehen. Wenn eine Diagnose erst im Erwachsenenalter gestellt wird, hilft es den Frauen, ihr Leben „rückwärts“ zu verstehen. Es entlastet, zu wissen, dass man nicht Schuld ist an der eigenen – häufig mit Schwierigkeiten gepflasterten - Biografie. Nicht wenige Frauen mit ASS schämen sich dafür, dass sie zu wenig Energie hatten und haben, beruflich erfolgreich zu sein, obwohl die Intelligenz und Abschlüsse sehr hoch sind. Mit der richtigen Diagnose erlauben sich Frauen häufig, zu merken und zuzulassen, wie erschöpfend der Alltag im Dauer-Masking wirklich ist. 
Mit der Diagnose können Frauen lernen, besser mit ihren Herausforderungen umzugehen und ggf. gezielte Unterstützung bekommen. Eine Diagnose kann auch helfen, Erschöpfung und psychische Probleme besser zu vermeiden.

Fazit
ASS bei Frauen sieht oft anders aus als bei Männern. Viele Frauen verstecken ihre Schwierigkeiten, was die Diagnose erschwert. Deshalb ist es wichtig, dass Fachleute mehr über die besonderen Merkmale von ASS bei Frauen wissen. So können mehr Frauen frühzeitig die Hilfe bekommen, die sie brauchen.

 

Diagnosekriterien des Asperger-Syndroms

Diese Diagnose-Kriterien des Asperger-Syndroms (nach dem Adult Asperger Assessment (AAA) gelten als international anerkannt. Es handelt sich hierbei um die überholte Begrifflichkeit Asperger. Im ICD 11 wird ausschließlich vin ASS gesprochen

  1. Qualitative Beeinträchtigung der sozialen Interaktion (>3 von 5 Bereichen)
    - Deutliche Beeinträchtigung im Bereich des nonverbalen Verhaltens
    - Erfolglosigkeit beim Aufbau von Beziehungen zu gleichaltrigen möchte anderen nicht gefallen oder seine/ihre Erfahrungen mitteilen
    - Fehlen von sozialer und emotionaler Gegenseitigkeit
    - Probleme beim verstehen sozialer Situationen oder von Gefühlen oder Gedanken anderer Menschen
     
    2. Eingeschränkte, sich wiederholende und stereotype Verhaltens- und Interessenmuster (>3 von 5 Bereichen)
    - Umfassende Beschäftigung mit Stereotypen und eingeschränkten Verhaltensmustern
    - Offensichtlich unflexibles Verfolgen von spezifischen, nichtfunktionalen Tätigkeiten oder Ritualen
    -  stereotype und sich wiederholende Manierismen[1]
    - Anhaltende Beschäftigung mit bestimmten Teilen von Objekten/Systemen
    - Tendenz zum Schwarz-Weiß-Denken, ohne flexibel verschiedene Möglichkeiten in Betracht ziehen zu können
     
    3. Qualitative Beeinträchtigungen der verbalen und non-verbalen Kommunikation (>3 von 5 Bereichen)
    - Tendenz dazu, in jedem Gespräch auf die eigene Person beziehungsweise interessierende Inhalte zu sprechen zu kommen
    - deutliche Beeinträchtigungen in Initiierung und Aufrechterhaltung einer Unterhaltung
    - pedantischer Erzählstil oder ein „Sich-verlieren“ im Detail
    - Unfähigkeit, Interesse oder Langeweile beim Zuhörer zu erkennen
    - Tendenz, Dinge zu sagen, ohne dabei Rücksicht auf die beim Zuhörer dadurch ausgelösten Gefühle zu nehmen
     
    4. Beeinträchtigung des Vorstellungsvermögens (>1 von 3 Bereichen)
    - Fehlen von spontanem, abwechslungsreichem Rollenspiel (zum Beispiel mit Kindern „So-tun-als-ob-Spiele“)
    - Unfähigkeit Geschichten zu erzählen, zu schreiben oder zu erfinden
    - fehlendes Interesse an Romanen oder Dramen oder beschränkt auf zum Beispiel Wissenschaft, Geschichte, Technik
     
    Notwendige Bedingungen (alle Bereiche)
    - Auffälligkeiten in jedem der Bereiche A bis D bereits während der Kindheit
    - resultierende Beeinträchtigungen in sozialen, beruflichen oder anderen wichtigen Lebensbereichen
    - es liegen keine signifikanten Verzögerungen im Bereich der Sprachentwicklung vor. Es liegen keine signifikanten Verzögerungen im Bereich der kognitiven Entwicklung vor
    - eine andere tiefgreifende Entwicklungsstörung oder Schizophrenie muss ausgeschlossen werden
     
    [1] Manierismen: Es handelt sich dabei um unnatürliche, bizarr anmutende, verschnörkelte, oft stereotype Bewegungsabläufe oder eine Sprachtechnik mit übertriebener Artikulation, merkwürdiger versponnener Wortwahl und gestelzter Ausdrucksweise.
  2.  

Bücher, Podcasts und Filme für Frauen